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#47für11

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"Die da oben"

Was haben "die da oben" mit mir zu tun? Unsere Politik wird von Menschen gemacht. Aber wer sind diese Menschen? 
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Ölteppich auf der Nordsee, nur Männer im Fußballteam oder die Nuklearkatastrophe Tschernobyl - hier erzählen unsere Abgeordneten, in welchen Momenten Ihnen klar wurde: "Ich will etwas verändern!"
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Übersicht: 47 Köpfe

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Von Aras bis Zimmer

23. Mai 1999: Ich bin 19 Jahre alt und sitze als jüngster Wahlmann neben Joschka Fischer bei der Wahl des Bundespräsidenten. Um mich herum sitzen Menschen, die Dinge entscheiden, die uns alle betreffen. Aber alle sind deutlich älter als ich. Einmal mehr wird mir bewusst: Ich will jungen Menschen eine Stimme geben. Schon in meiner Schulzeit engagiere ich mich deshalb ehrenamtlich: Schülervertretung, Jugendgemeinderat und Freiwillige Feuerwehr. Besonders wichtig sind mir bessere Bus- und Bahnverbindungen und günstigere Tickets. Ich will, dass junge Menschen unabhängig unterwegs sein können. Und ich möchte Bildungsangebote so gestalten, dass junge Menschen mit gleichen Chancen ins Berufsleben starten können. Diese Themen führen mich zu den Grünen – dort traut man auch Jüngeren etwas zu. Ich werde Sprecher des Dachverbands der Jugendgemeinderäte in Baden-Württemberg und jüngster Stadtrat in Kirchheim unter Teck. Kommunalpolitik ist für mich die wichtigste demokratische Schule. Hier kann ich Probleme direkt angehen und auch mal mit unkonventionellen Ideen und Lösungen die Lebensbedingungen der Menschen verbessern.
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Mein Weg in den Landtag war so nie geplant, aber meine Kandidatur war am Ende die logische Folge meiner kommunalpolitischen Arbeit. Das Direktmandat, das die Wählerinnen und Wähler mir anvertraut haben, ist ein großer Vertrauensbeweis und gleichzeitig eine große Verantwortung. Ich begegne diesem Amt mit großem Respekt und versuche der Aufgabe jeden Tag so gut wie möglich gerecht zu werden. Mit Blick zurück freue ich mich, dass ich nun Fraktionsvorsitzender der größten Fraktion des Landtags bin. Das habe ich mir damals neben Joschka Fischer bei der Bundespräsidentenwahl ganz sicher so nicht ausgemalt. Meine eigene Geschichte zeigt, dass es sich lohnt, als junger Mensch aktiv zu werden und sich zu engagieren: Wenn wir Mut zeigen und dranbleiben, können wir alle etwas verändern...
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August 1978: Ich bin zwölf Jahre alt und sitze mit meinen Eltern und meinen Geschwistern in unserem Wohnzimmer in Filderstadt. Erst wenige Tage zuvor sind wir in Stuttgart gelandet. Bis zu diesem Tag habe ich mein ganzes Leben in einem Dorf in Ostanatolien verbracht. Meine Familie war dort Teil der kurdisch-alevitischen Minderheit – öffentlich Kurdisch zu sprechen war verboten. Kurz nach der Ankunft stehe ich mit meinen beiden Brüdern im Garten und zähle staunend Autos, in denen Frauen selbst am Steuer sitzen. Für mich bis dahin unvorstellbar. In Deutschland ist alles anders. Gleichberechtigung, Freiheit, Minderheitenschutz, Gemeinsinn – demokratische Werte, die mir sehr schnell wichtig werden. Inzwischen ist es Anfang der 90er Jahre. Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen, Mölln und Solingen: Die rassistischen Übergriffe auf Geflüchtete und Migrant*innen schockieren mich. Die Werte, die mir an Deutschland so wichtig sind, scheinen plötzlich in Gefahr. Das ist nicht das Deutschland, wie ich es kennengelernt habe: als meine neue, weltoffene Heimat. Doch mir ist klar: Dies ist auch mein Land. Und das lasse ich mir von Rechten nicht kaputtmachen. Ich beginne, mich politisch zu engagieren. Mit meinen Einstellungen zu Gleichberechtigung, Minderheitenschutz und Menschenrechten fühle ich mich bei den Grünen am besten aufgehoben...
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1999 werde ich dann zum ersten Mal in den Stuttgarter Gemeinderat gewählt, 2011 in den Landtag. Dass ich 2016 als Stimmenkönigin wiedergewählt werde und seither als Landtagspräsidentin den Landtag führe, zeigt für mich vor allem eines: Die meisten Menschen hier stehen zu den Werten, die ich an diesem Land so liebe. Diese Grundwerte zu vertreten, zu verteidigen und in die Gesellschaft zu tragen, versuche ich nun jeden Tag – als Abgeordnete und Landtagspräsidentin. Seid also mutig, bringt Euch ein und kämpft für die Werte, die Euch wichtig sind. Es lohnt sich!
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Wir befinden uns im Jahr 1980, ich bin 15 Jahre alt und sitze singend in einem schrillen, gelb tapezierten Zimmer. Eine ganz normale Szene der frühen 80er Jahre: Eine Jugendliche, die Musik macht und das Leben genießt? Doch wer aufmerksam zuhört, erkennt: „imagine all the people; living life in peace“, und wer sich aufmerksam umschaut, bemerkt Plakate gegen den NATO-Doppelbeschluss und Aufrüstung. Seit ich denken kann, engagiere ich mich in der kirchlichen Jugendarbeit. Nach und nach übernehme ich mehr Verantwortung in der Katholischen jungen Gemeinde. Wir hoffen auf eine bessere Welt. Eine friedliche und solidarische Welt, in der Menschen zusammenarbeiten, statt sich gegenseitig zu blockieren. Unser Engagement findet Anklang, und ich merke: Gemeinsam kann man mehr durchsetzen als allein. Was mit Liedern und Musik begonnen hat, ist inzwischen politisch geworden: Unser Slogan lautet „Aufstehen für Abrüstung“. Die Entwicklungen des Kalten Kriegs prägen mich. Frieden und Umweltschutz liegen mir besonders am Herzen und machen die Wahl einer passenden Partei recht einfach...
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2001 ziehe ich erstmals als Abgeordnete aus Heidelberg in den Landtag ein. Von jetzt an bin ich für die Grünen im Land für Hochschulpolitik zuständig. 2011 dann die historische Zäsur: Die Grünen übernehmen erstmals in Baden-Württemberg Regierungsverantwortung und stellen den ersten grünen Ministerpräsidenten in Deutschland. Für mich wird ein Lebenstraum wahr: Ich werde Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kunst. Ich empfinde es als Privileg, mich dafür einsetzen zu können, dass Forscher*innen und Kulturschaffende ihre Ideen und Träume verwirklichen können. Damit aus Idealen Wirklichkeit werden kann. Und immer wieder greife ich dabei auf das Handwerkszeug zurück, das ich damals in den schrill tapezierten Räumen gelernt habe: Zuhören, Teamwork und das Zusammenbringen unterschiedlicher Sichtweisen.
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Quietschende Schuhe und Anfeuerungsrufe, das „BUMM“ des Balls am Torpfosten. Es ist 1984 und im Fußball ist das Wort Mannschaft noch wörtlich zu nehmen. Für mich ist klar: Frauen wollen und können auch kicken. Und deshalb ziehe ich mir das Trikot mit der Nr. 10 über – die „Mittelfeld-Regisseurin“. Gemeinsam gewinnen wir den Pokal. Angefangen hat alles am Rande des Heilbronner „Hawai“. In diesem Viertel, das damals – bei vielen, die da nicht wohnen – als sozialer Brennpunkt gilt, wachse ich glücklich auf mit meiner Schwester und meinem Bruder. Ich lerne früh, auf eigenen Beinen zu stehen, tolerant zu sein und mich auch mal durchzusetzen. So wird für mich selbstverständlich, dass Frauen die gleichen Rechte haben wie Männer. Ich nehme mir die Chancen. Intensive „Redeschlachten“ am Esstisch mit meinen Eltern verstärken mein politisches Bewusstsein. Mein erstes gesellschaftliches Engagement: Jugend-Betreuerin bei Kinderfreizeiten auf dem Gaffenberg. Die Friedensbewegung formiert sich. Heilbronn der 80er Jahre: Die Stationierung der amerikanischen Pershing-II-Raketen auf der Waldheide nahe meines geliebten Gaffenbergs ist DAS Thema. Ich bin überzeugt: Da muss ich mich engagieren! Demos und Proteste. Dann Studium, Hochzeit und Kinder. Neue Herausforderungen: Spagat zwischen Kinderbetreuung und Job, Wohnen in der Stadt und die Frage, was ich dafür tun kann, unseren Kindern eine lebenswerte Welt zu übergeben. 2009 werde ich bei den Grünen aktiv, die schon immer meine „Wahlheimat“ waren...
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Ich möchte konkret etwas bewegen, kandidiere für den Gemeinderat und werde Vorsitzende der Stadtratsfraktion. Hier kann ich mitgestalten, merke aber, dass ich auch über die Stadtgrenzen hinaus wirken möchte. 2016 vertrauen mir die Wähler*innen das Direktmandat an. Chancengerechtigkeit und die Verbindung von Ökologie und Wirtschaft sind mir wichtig. Mein Fachthema Bauen und Wohnen ermöglicht es mir, diese Bereiche noch weiter zu verbinden. Früher im Fußballteam und noch heute im Landtag – der Doppelpass ist in meinem Repertoire. Wenn Anliegen an mich herangetragen werden, höre ich zu, suche selber nach Lösungen oder spiele den Ball in die richtige Richtung.
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Mein Leben war nie langweilig, denn mit vier Söhnen wird es nie leise. Hinter mir liegen turbulente Jahre. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass es nicht immer einfach ist, Job und Familie unter einen Hut zu bekommen. Rückblick: Meine Kinder sind klein. In unserem Ort gibt es keinen Kindergarten und keine Grundschule. Ich will das ändern. Wir kämpfen für einen Kindergarten im Ort, einen Spielplatz und eine Tempo-30-Zone. Als Vorstandsmitglied des Turnvereins setze ich mich für eine Zehn-Dörfer-Halle in Wald ein. Wir starten ein Bürgerbegehren – das kommt bei uns im Ländlichen Raum fast einer Revolution gleich. Mein Vater, ein engagierter Gewerkschafter, hat mir früh vermittelt, wie wichtig es ist, Verantwortung für das eigene Leben und das soziale Umfeld zu übernehmen. Ob im kleinen Rahmen als Klassensprecherin, als Jugendleiterin, bei Demos gegen das Atomkraftwerk Fessenheim, als Lehrerin für Gemeinschaftskunde, Wirtschaftskunde und Sport, als Mitglied in mehreren Vereinsvorständen, als Elternbeirätin oder jetzt als Landtagsabgeordnete – Familie und gesellschaftliches Engagement gehören für mich zusammen...
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Im Landtag kämpfe ich für einen besseren Öffentlichen Nahverkehr. Denn die Jahre, in denen ich viel Zeit damit verbracht habe, meine Kinder zum Training und zu Musikproben zu fahren und Fahrgemeinschaften zu organisieren, sind mir noch sehr präsent. Bildungsgerechtigkeit und eine starke Stellung der Frauen – als Lehrerin und zeitweise alleinerziehende Mutter sind das meine Hauptanliegen. Als Sprecherin der Fraktion für Weiter- und Erwachsenenbildung mache ich mich jetzt für lebenslanges Lernen stark. Meine vier Söhne sind mittlerweile erwachsen. Ich bin glückliche und stolze Oma. Ich lege großen Wert darauf, dass wir unsere Welt so gestalten, dass sie für unsere Kinder und Enkelkinder genauso lebenswert bleibt. Dazu kann jede und jeder etwas beitragen. Als Bürgerin, Abgeordnete, Oma und Mutter versuche ich meinen Teil beizutragen.
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Sonnenstrahlen kitzeln auf meiner Haut, Wind zerzaust meine Haare. Ich bin stolz, denn obwohl ich erst vier Jahre alt bin, kann ich mit meinem Vater Schritt halten. An diesem warmen Sommertag im August 1980 sind wir gemeinsam auf der Zugspitze unterwegs. Ich genieße die Weite der Berge und die Freiheit, die ich beim Wandern fühle. Zuhause ist das nicht immer so. Ich wachse in Wolfach, einer kleinen Stadt im Schwarzwald, auf. Meine Eltern sind sehr jung und ohne Ausbildung. Sport im Verein oder ein Instrument lernen? Das war zeitlich und finanziell nicht möglich. So werde ich früh sehr selbstständig und schaffe mir meine eigenen Freiräume. Ich liebe es, Abenteuergeschichten zu lesen, im Schwarzwald umherzuwandern und auf dem Bauernhof meiner Großeltern verborgene Winkel zu entdecken. Die Natur ist mein Abenteuerspielplatz. 26. April 1986: Obwohl ich erst 10 Jahre alt bin, erschüttert mich Tschernobyl zutiefst. Ich habe tolle Lehrer*innen, die die Katastrophe aufgreifen und mein Interesse für Politik wecken. Nach meinem Realschulabschluss ist für mich klar: Ich möchte unbedingt mein Abi machen und studieren. Doch das ist in meiner Familie nicht üblich. Aufgeben ist für mich keine Option. Ich diskutiere stundenlang und schaffe es schließlich, alle davon zu überzeugen, dass ich weiter auf die Schule gehen darf. Ich habe dadurch gelernt, dass nichts selbstverständlich ist und man für seine Ziele kämpfen muss...
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Ich trete den Grünen bei. Mein Ziel: Die Welt soll allen Kindern gleichermaßen offen stehen. Jedes Kind soll die Möglichkeit haben, seine Talente zu nutzen und frei zu entfalten. In meiner Arbeit als stellvertretende Fraktionsvorsitzende und Sprecherin für Bildungspolitik möchte ich politische Rahmenbedingungen schaffen, die dies ermöglichen. Wie damals auf dem Weg zur Zugspitze muss man sich auch in der Politik über steinige Wege kämpfen, um den Gipfel zu erklimmen. Es ist wichtig, dabei nicht zu vergessen, wo man herkommt. Sonst vergisst man leicht, wo man hin will.
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Ein „Muh“ im Hintergrund, quietschende Schubkarrenreifen: 1994, ein Bio-Bauernhof in Linach. Seit über zehn Jahren melke ich jeden Tag die Kühe, bringe die Schafe auf die Weide, füttere die Hühner und sehe nach, ob frische Eier im Nest liegen. Mit „Urlaub auf dem Bauernhof“ hat das wenig zu tun: Anpacken ist für mich Krafttanken. Eigentlich habe ich etwas Anderes gelernt. Noch vor wenigen Jahren stand ich als pharmazeutisch-technische Assistentin in der Apotheke. Nach meiner Hochzeit 1983 entschied ich mich dafür, in den Familienbauernhof meines Mannes einzusteigen. Schnell merke ich: Viele Rahmenbedingungen in der Landwirtschaft werden von der Politik gesetzt. Jedes Jahr wird das Bäuerinnenleben bürokratischer. Immer mehr Zeit verbringe ich im Büro. Fast habe ich die Schubkarre gegen den Schreibtisch getauscht. So habe ich mir das nicht vorgestellt: Eine Landwirtin gehört auf den Hof, in den Stall und die Natur. Ich will mich mit den Umständen nicht abfinden und werde selbst aktiv. 1999 werde ich stellvertretende Ortsvorsteherin in Linach. Ökologie, Ökolandbau und Nachhaltigkeit habe ich immer konsequent gelebt. Die Grünen sind für mich die Partei, die sich genau dafür einsetzt. 2008 werde ich Mitglied...
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Ein Jahr später sitze ich bereits im Kreistag, wenig später im Kreisvorstand der Grünen des Schwarzwald-Baar-Kreises. 2016 ziehe ich mit dem Direktmandat in den Landtag ein. Das erste Mal erhält hier eine Frau das Direktmandat. Und das in einem Stamm-Wahlkreis der CDU. Es fühlt sich gut an, dass die Leute mein Engagement ernst nehmen und mir was zutrauen. Heute bin ich die Sprecherin der Fraktion für den Ländlichen Raum. Neben meinem Herzensthema, dem Ökolandbau, gehören Verbraucherschutz, ein starker Ländlicher Raum und die regionale Daseinsvorsorge zu meinen Kernthemen. Ob hinter der Schubkarre oder an meinem Schreibtisch im Wahlkreis oder im Landtag, eines vergesse ich nie: Wer was erreichen will, muss anpacken und anschieben. Von selbst kommt nichts ins Rollen.
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Telefonbuchseiten rascheln, die Wählscheibe rattert, Stille. „Hallo?“ – tönt eine selbstbewusste Kinderstimme aus dem Hörer. Heilbronn im Sommer 1985, ich bin vier Jahre alt. Meine Eltern sind türkische Gastarbeiter. Ich bin das jüngste von sechs Kindern. Meine Lieblingsbeschäftigung: Ich rufe heimlich fremde Menschen an. Die Telefonrechnung ist irgendwann so hoch, dass meine Eltern denken, der Telefongesellschaft liegt ein Fehler vor. Am Ende richten sie eine Wählsperre ein. Meine Neugier stille ich anders: Ich lese mit Leidenschaft Bücher. Mit meiner Mama höre ich oft die Nachrichten im Radio. Sie spricht kaum Deutsch und kann nicht lesen. Ich dolmetsche für sie, zum Beispiel bei Behördengängen. Kinder, die für ihre Eltern übersetzen? Die herablassenden Blicke nagen an mir. Als ich den Briefumschlag mit meiner Empfehlung für die weiterführende Schule öffne, bricht für einen Moment meine Welt zusammen. Ich habe gute Noten und soll auf die Hauptschule? Meine Lehrerin findet: Das reicht für ein Ausländerkind. Ich bin wütend! Ich kämpfe und überzeuge meine Rektorin später: Ich will auf die Realschule, ich kann das.  Dieses Erlebnis treibt mich in die Politik...
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Mein Spitzname lautet „avukat“ – türkisch für Anwältin. Und ja, ich will Anwältin sein für eine Gesellschaft, in der es gleiche Chancen gibt, die tolerant ist, in der Herkunft keine Rolle spielt. Später schaffe ich es aufs Wirtschaftsgymnasium. Nach meinem Abi beginne ich ein Jurastudium. Aber die Politik lässt mich nicht los. 2016 gewinne ich das Direktmandat in Konstanz. Ich merke: Das ist der richtige Platz. Als Abgeordnete kann ich „Anwältin“ sein für alle, die eine starke Lobby brauchen: Als Kind mit Migrationshintergrund aufs Gymnasium? Ich lege den Hörer erst auf, wenn das eine Selbstverständlichkeit ist!
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Juli 1984: Die Sonne brennt vom Himmel, Wasser plätschert aus dem Brunnen und ich habe Semesterferien. Doch Freizeit genießen steht hinten an. Es sind nur noch wenige Monate bis zur Kommunalwahl im Herbst, bei der ich zum ersten Mal kandidiere. Fotos müssen her. Nach einem passenden Hintergrund muss ich nicht lange suchen. Welcher Sohn der Stadt Ulm steht stärker für meine Ideale als Albert Einstein – für Frieden, Menschenrechte und Toleranz? Also: Zunge raus! Ich bin gerade erst 24. Doch ich weiß: Ich will mitmischen. Angefangen hat alles schon viel früher. Seit ich denken kann, engagiere ich mich in der Jugendarbeit der katholischen Kirche. In den 1980ern sind der NATO-Doppelbeschluss und die Stationierung der Pershing-II-Raketen DAS Thema in Ulm. Nur wenige Kilometer entfernt werden Pershing-II-Raketen stationiert. Vor unseren Kirchentoren zieht die Friedensbewegung vorbei. Deren Motto: „Diesmal wollen wir nicht schweigen“. Auch ich will nicht schweigen und schließe mich der Bewegung an. Ich gehe zu Demos und Protesten und bin Teil der Menschenkette Ulm-Stuttgart. Mein Jurastudium in Heidelberg und mein Wunsch nach mehr Beteiligung und Gerechtigkeit bringen mich zu den Grünen...
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In den folgenden Jahren engagiere ich mich ehrenamtlich für benachteiligte und behinderte Kinder und Jugendliche im Verein FortSchritt e.V. und im Zentrum Guterhirte. Von 1997 bis 2009 bin ich Stadtrat in Ulm. Mit dem historischen Wahlerfolg der Grünen im Jahr 2011 ziehe ich schließlich in den Landtag ein. Dort bin ich für die Bereiche Rechts- und Innenpolitik zuständig. Ich setze mich für einen modernen Strafvollzug und eine bürgerfreundliche Polizei ein. Ob als Anwalt oder als Abgeordneter, jeden Tag kämpfe ich für eine gerechte Gesellschaft. Das Einstein-Denkmal steht heute noch in Ulm. Auch jetzt streckt Einstein mir die Zunge raus und erinnert mich daran: Nur, wenn wir Mut zeigen und entschlossen für unsere Werte einstehen, können wir etwas verändern.
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Der Duft von Kaffee mischt sich mit brutzelndem Butterschmalz, Dampf wabert durch meine WG-Küche. 1982: ein verschlafener Sonntagvormittag in meiner Studentenbude bei Freiburg. Ich stehe am Herd und schwenke Pfannkuchen. Laut schwatzend belagern meine Mitbewohner*innen unseren Küchentisch. Wir diskutieren heftig über die anstehende NATO-Gipfelkonferenz in Bonn. Unsere WG-Küche ist unser Versammlungsort, Kulisse für Wortgefechte und Grundsatzdebatten, für philosophische Stunden, aber vor allem für Austausch. Einige Jahre später. Ich arbeite in der Suchthilfe in Basel. Ich erlebe menschliche Dramen, erfahre aus nächster Nähe, was es heißt, abhängig zu sein. Bald gibt es in Basel einen der ersten Drogenkonsumräume. Dort verhindert eine sterile Ausstattung die Übertragung von Krankheiten. Inzwischen bin ich nach Lörrach im Dreiländereck gezogen und den Grünen beigetreten...
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Ständig bewege ich mich zwischen Deutschland, der Schweiz und Frankreich. Viele Gespräche mit den unterschiedlichsten Menschen zeigen, dass wir zwar verschiedene Einstellungen haben, aber uns eines immer wieder verbindet: das Gefühl Europäer*in zu sein. Trotz unterschiedlicher Heimatorte haben wir ein gemeinsames Zuhause: Europa. Die EU ist lebendiges Symbol für die Überwindung des Nationalismus und Anker für unsere gemeinsamen Werte. Seit 2011 bin ich Mitglied des Landtags und europa- und suchtpolitischer Sprecher der Grünen Fraktion. Ich kämpfe täglich dafür, dass wir grenzüberschreitende Probleme wie den Klimawandel auch gemeinsam lösen. Das geht nur mit einer starken europäischen Gemeinschaft und mit einer Politik, die Bürger*innen einbindet. Es gilt, Brücken zu bauen, unsere Ideen auszutauschen, voneinander zu lernen und demokratisch Lösungen zu finden. Meine Erfahrung hat mich gelehrt, dass es sich nicht nur beim Pfannkuchen backen lohnt, über den Tellerrand hinaus zu schauen.
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Der Geruch frisch gebackener Brezeln liegt in der Luft. Zwischen meinen Händen staubt Mehl. Hinter mir spüre ich die Wärme des Ofens. 1984, ein Samstagmorgen in Heidenheim. Mein Arbeitstag beginnt, wenn alle anderen Heidenheimer*innen noch in ihren Betten liegen. Bald ist die letzte Fuhre Brezeln fertig. Dann geht es auf den Marktplatz. Das Backen wurde mir in die Wiege gelegt. Die Bäckerei habe ich von meinem Vater übernommen. Von ihm habe ich gelernt: Brot ist nur so gut wie seine Zutaten. Deshalb habe ich unsere Bäckerei zur Biobäckerei gemacht. Regional genießen und fair produzieren ist besser für Tier, Natur, Umwelt und Handwerk. Und schmeckt einfach besser. Viele Jahre lang bringe ich anderen Menschen, vor allem Kindern, das Backen und die Vorteile gesunder Ernährung näher. Doch im Laufe der Zeit wird mir klar, dass die entscheidenden Vorgaben in der Politik gemacht werden. Da will ich mich einmischen – und engagiere mich bei den Grünen...
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Oft wird beklagt, dass Parlamente die Zusammensetzung der Bevölkerung nicht richtig abbilden. 740 000 Handwerker*innen arbeiten in Baden-Württemberg. Also müssten umgerechnet 10 Handwerker*innen in unserem Landesparlament vertreten sein. Daran will ich arbeiten – und dem Handwerk eine starke Stimme geben. 2016 erhalte ich in Heidenheim das Direktmandat und ziehe aus der Backstube in den Landtag. Hier setze ich mich besonders für das Handwerk, den Verbraucherschutz und die Stärkung des ländlichen Raumes ein. Noch heute stehe ich jeden Samstag auf dem Markt, verkaufe Brezeln, Brot und Hefezopf aus meiner Biobäckerei und erlebe dabei hautnah, was in Heidenheim sonst so los ist.
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Ein glucksendes Quietschen und ein Patschen von Babyhänden. Klick! Schorndorf 1964, ich bin kein Jahr alt und sitze auf den Schultern meines Vaters. Er ist es, der mein politisches Interesse weckt. Jeden Sonntag beim Mittagessen diskutieren wir leidenschaftlich über die Predigt. Von ihm lerne ich, dass alle Menschen gleich sind, und die Natur ein Geschenk ist, mit dem behutsam umgegangen werden muss. Ein weiteres Motto meines Vaters prägt mich: Man muss einmal am Tag schwitzen! Nachmittags gehe ich mit meinen Geschwistern oder Freunden raus zum Radfahren, Schwimmen, Laufen oder Handball spielen. Ohne Sport wäre unsere Gesellschaft ärmer und kälter. Sport lehrt spielerisch ein faires Miteinander, Durchhaltevermögen und Toleranz. Meine Liebe zur Bewegung bringt mich dazu, Sportlehrerin zu werden. Ich arbeite in einem anthroposophischen Internat für pflegebedürftige Menschen, bis mich die Neugierde auf etwas Neues packt. Über Umwege werde ich Heilpraktikerin und eröffne 2001 meine eigene Praxis in Schorndorf...
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Mir wird klar: Ich will mich für die Gemeinschaft engagieren. Ich will Frauen und den Schwächeren eine Stimme geben und in der Politik mitmischen. Deshalb trete ich bei den Grünen ein, eine andere Partei steht für mich nicht zur Debatte. Nach sieben Jahren im Schorndorfer Gemeinderat ziehe ich 2011 in den Landtag ein. Wenn ich mir das Bild von meinem Vater und mir heute ansehe, erinnere ich mich an die Werte, die er mir mitgegeben hat: Respekt vor den Menschen und der Natur. Heute gebe ich das als Politikerin weiter. Als Sprecherin für Polizei und Sport setze ich mich unter anderem für eine bürgernahe Polizeiarbeit ein – von der Straße bis ins Stadion. Wichtig ist mir, dass Polizist*innen gut ausgebildet und ausgestattet sind. Auch sie treten ein für unsere Werte – und sind der Garant für die Sicherheit unserer Gesellschaft.
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1982: mit gerade einmal 19 Jahren stehe ich auf dem heimischen Hof in Überlingen. Wir wirtschaften bäuerlich traditionell – mit wenig Spritzen und Düngen. Ich bin begeisterter Rinderzüchter. Die Welt dreht sich schnell, und ich lerne Spitzenzüchter kennen. Dort erlebe ich Embryotransfer und andere biotechnische Verfahren der konventionellen Rinderzüchtung. Viel Kontrolle. Wenig Natur. Hier ist Orwell schon Wirklichkeit. So will ich nicht arbeiten. Ich werde Öko-Landwirt, verwandle meinen Hof in einen Demeter-Betrieb und werde Mitglied der Freien Grünen Liste Überlingen. Die Arbeit auf dem Hof ist hart. Vier Jahre später will ich meine erste Bio-Ernte einfahren. 26. April 1986: Tschernobyl. Super-GAU. Die Bodensee-Landschaft: verstrahlt. Wir gehen mit Geigerzählern übers Feld. Knack, knack, knack. Der Super-GAU vernichtet meine gesamte Ernte. Mein Zorn treibt mich an. Ich sammle Informationen über die Katastrophe und die Risiken der Atomkraft und schließe mich den Anti-Atomkraft-Demos meiner Region an...
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Ich merke, dass ich uns Bio-Bauern eine Stimme geben muss und arbeite erst bei der Landes-, dann später auch bei der Bundesarbeitsgemeinschaft Landwirtschaft der Grünen mit. 1989 lasse ich mich in den Grünen Landesvorstand wählen. Daheim engagiere ich mich im Gemeinderat und im Kreistag. Ich spüre: Ich kann etwas bewirken. Ich setze mich für andere Bauern der Region ein. Gemeinsam gründen wir die „Bauerngemeinschaft Bodensee“, „Bio-Milch vom Bodensee“ und die regionale Bio-Marke „Von Hier“ und bringen so das Thema „regionale Landwirtschaft“ in die Köpfe der Menschen. 2011 ziehe ich erstmals in den Landtag ein und werde 2016 per Direktmandat wiedergewählt. Im Landtag bin ich Vorsitzender des Ausschusses für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz und agrarpolitischer Sprecher unserer Fraktion. Besonders setze ich mich für Klimaschutz und Ressourcen-Effizienz ein. Denn klar ist: Wir haben diesen Planeten nur von unseren Kindern geborgt.
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Irland ist einer meiner Sehnsuchtsorte. Wann immer sich die Gelegenheit bietet, reise ich in den 70ern und 80ern nach Irland. Auf dem Foto stehe ich an der rauen westirischen Küste. Der irischen Folkmusik und den Menschen auf der grünen Insel fühle ich mich schon immer nah. Die Steilküsten in der Region Shannon, das Cliff of Moher, die grünen Wiesen, die bunten Städtchen und die Pubs mit Livemusik: Das ist mein irischer Traum. Ich schlendere durch Belfast. Plötzlich: laute Rufe und Sprechgesang. Ich bin mitten in eine Kundgebung für hungerstreikende IRAMitglieder geraten. Stacheldrähte und blutige Anschläge nehmen auch während meiner Irlandreisen immer mehr Raum ein. Seit diesem Erlebnis hat mich der Nordirland-Konflikt nicht mehr losgelassen. Ich beschäftige mich intensiv mit den Hintergründen des Konflikts und dem unwirklichen Leben inmitten des Bürgerkriegs zwischen Katholiken und Protestanten, zwischen Republikanern und Loyalisten. Ich möchte mich für gewaltfreie Konfliktlösungen engagieren, schließe mich der Friedensbewegung an und werde Mitglied bei den Grünen. Sie sind die einzige politische Kraft, die sich ernsthaft mit Friedensthemen auseinandersetzt...
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Seit 2011 bin ich Abgeordneter im Landtag von Baden-Württemberg. Als Sprecher für Kirchen und Religionsgemeinschaften der Grünen Landtagsfraktion setze ich mich weiterhin für Friedensarbeit ein. Die Servicestelle Friedensbildung liegt mir dabei besonders am Herzen. Auch für den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge engagiere ich mich. Die Erinnerungskultur ist ein wichtiger Bestandteil meines politischen Handelns. Irland steht durch die Brexit-Verhandlungen derzeit wieder im Fokus. Auf der irischen Insel würde bei einem harten Brexit eine EUAußengrenze verlaufen. Die derzeitige Lage droht alles zu zerstören, wofür die Errungenschaften des Karfreitagsabkommens stehen. Ich habe Angst, dass das ein Brandherd für neue Gewalt werden könnte, und beobachte die Lage daher skeptisch.
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Frühjahr 1993 in Gießen: Ich genieße den Moment mit meinem ältesten Sohn und diskutiere mit ihm, weil er keinen seiner Luftballons abgeben möchte. Hat er wirklich mehr davon, wenn er seine Luftballons mit anderen teilt? Das ist die soziale Frage – mit einem Zweieinhalbjährigen diskutiert. Seine Welt ist noch klein, und ich weiß: Dieses unbeschwerte Aufwachsen von Kindern will und muss ich bewahren. Ich wachse im geteilten Berlin auf. Hier sind die Vergangenheit und ihre brachiale Wirkung bis in die Gegenwart spürbar: Politische Weltbilder prallen aufeinander. Familien sind auseinandergerissen. Naturschutz steht seit 1968 in der Verfassung der DDR. Aber die Realität sieht anders aus: Es findet ein regelrechter Raubbau an der Natur statt. Die Grenzwerte für Schadstoffe sind schwach, Strafen für Verstöße gering. Oft werden aus wirtschaftlichen Gründen Ausnahmen genehmigt. Ich studiere Jura, weil ich auch gegen solche Missstände ankämpfen möchte. Was man auf dem Foto nicht sieht: Neben dem Vollbart trage ich zu dieser Zeit auch einen Zopf – für einen angehenden Juristen eher unkonventionell. Mit der Geburt meiner Kinder wird mir endgültig klar: Ich trage Verantwortung für ihre Zukunft und zwar nicht nur finanziell...
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Meine Kinder eröffnen mir eine neue Sicht auf die Dinge. Sie lehren mich, dass es wichtig ist, zuzuhören und die eigenen Standpunkte so zu begründen, dass sie nachvollziehbar sind. Ich kann und will nicht länger zusehen, wie die Zukunft meiner Kinder mit rückwärtsgewandter Politik verbaut wird. Energiewende, neue Mobilität, sozialer Zusammenhalt – ich möchte gestalten und verändern und finde 1994 bei den Grünen meine politische Heimat. 2016 rücke ich für die Abgeordnete des Wahlkreises Rastatt, Kirsten Lehnig, in den Landtag nach. Hier setze ich mich für die Mobilität von morgen ein. Das Thema E-Mobilität treibt mich auch in meiner Freizeit um. Einen Peugeot-Roller, Baujahr 95, habe ich in Handarbeit zum E-Roller umgebaut. Der Zopf aus Studententagen ist längst ab, die ökologischen Überzeugungen sind geblieben.
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Holzvertäfelte Wände, glänzende Wappen, stickige Luft, Männerduft. Der Plenarsaal des Landtags. Gläser klirren, hier und dort vereinzelte Prost-Rufe. Herbst 1985: Der Skandal um mit Frostschutzmitteln gepanschten Wein macht Schlagzeilen. Auch im Landtag wird das Thema debattiert. Als unser Abgeordneter Hans Dieter Stürmer seine Rede hält, servieren mein Kollege Thilo Weichert und ich Bio-Wein, damals eine Neuheit. Empört verlässt ein Großteil der CDU-Fraktion den Saal… Mein Weg hat sich abgezeichnet: Als Schulsprecher organisiere ich den ersten landesweiten Schulstreik gegen die Einführung eines Numerus Clausus. Dann die „bewegten“ 1960er und 70er Jahre: Vietnam-Krieg, NATO-Doppelbeschluss, Friedensbewegung. Die etablierten Parteien finden keine befriedigenden Antworten. In der „Bewegung“ haben wir andere, „basisdemokratische“ Vorstellungen von Demokratie. Die Pläne für eine Grüne Partei sehe ich zunächst skeptisch. Bald wird aber klar: Die Grünen meinen es ernst mit dem „Anderssein“. 1982 werde ich Mitglied. 1984 komme ich in den Landtag. Unser Auftreten ist für viele, vor allem für die CDU, die mit absoluter Mehrheit regiert, eine Provokation. Wein im Plenarsaal, Proteste auf der Straße – wir bürgerbewegten Grünen gehen neue Wege...
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Aus der Bewegungspartei ist eine gestaltende Kraft geworden. Heute bin ich Minister in einer damals undenkbaren Koalition. Wir haben viel verändert – und wir haben uns verändert. Und ja, ich habe in fast vierzig Jahren Politik gelernt, wie wichtig es ist, einen Kompass zu haben, Mehrheiten zu gewinnen, Kompromisse zu machen, um zu gestalten. Trotzdem: Ab und an sind auch klug gesetzte Provokationen nötig. Das belebt den Diskurs und die Demokratie. Wenn die Jugendlichen von „Fridays for Future“ an meinem Fenster vorbeiziehen, bewegt mich das zutiefst: Sie fordern zu Recht eine andere, wirksame Politik für den Klimaschutz. Und ich lade sie ein: Wir alle haben es in der Hand, die Politik und die Welt besser zu machen. Ich bin dabei.
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Für Kerzenschimmer und Lamettafäden habe ich heute keinen Blick. Auch den Tannenduft nehme ich kaum wahr. Alles was ich sehe: mein neues Rennrad! Fahrradstadt Münster, Weihnachten 1984 – meine Eltern hätten mir kein besseres Geschenk machen können! Am liebsten würde ich sofort losdüsen. Auch in den kommenden Jahren lässt mich die Begeisterung fürs Rennradfahren nicht los. Durch Wälder, über Wiesen, Hügel hinauf und steile Serpentinen hinab, vorbei an winkenden Kindern auf Spielplätzen. Montag, 28. April 1986: Erste Nachrichten zur Nuklearkatastrophe in Tschernobyl treffen ein. Ab da sind die Spielplätze leer – keine winkenden Kinder weit und breit. Das Leben im öffentlichen Raum erstirbt für einige Zeit, und für mich steht fest: Atomkraft? Nein Danke! Ich engagiere mich in der progressiven Katholischen jungen Gemeinde und werde Mitglied der Friedensbewegung. Nach meinem Abi verweigere ich den Kriegsdienst und bin Zivi in Köln. Dort studiere ich dann auch: Physik. Wenn ich mich nicht um meine kleine Tochter kümmere oder im Hörsaal die Sitzbank drücke, engagiere ich mich gegen den Golfkrieg, gegen Atomkraft, für Geflüchtete oder erkunde auf dem Sattel die Umgebung. Radfahren ist für mich aktiver Klimaschutz – ob auf dem Weg zur Demo oder zur Uni...
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Ökologie und Verkehrspolitik verbinden, das heißt für mich: Mehr Menschen vom Auto aufs Rad und in öffentliche Verkehrsmittel bringen. Für dieses Ziel engagiere ich mich zunächst im Allgemeinen Deutschen Fahrrad Club, ab 2008 dann auch bei den Grünen.
2016 werde ich in den Landtag gewählt. Hier setze ich mich als Vorsitzender des Arbeitskreis Verkehr und als Sprecher für Fuß- und Radverkehr für die Mobilität von morgen ein. In meinem Wahlkreis Sinsheim bin ich regelmäßig als „Fahrradflüsterer“ unterwegs, um bei mobilen Bürger*innensprechstunde Räder fit zu machen und mit den Menschen ins Gespräch zu kommen.
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„We are the world, we are the children…“ Ein Gasthaus mit grünem Kachelofen, scharrenden Holzstühlen, rauchiger Luft. Mitten drin wir, ganz schön laut. Bühlertal 1985: Studi-Exkursion. Wenn ich durch alte Fotoalben blättere, ist eines immer da: Musik. Sei es als Kind im Chor, mit der Gitarre oder als Solist. Ich erinnere mich noch gut an die Szene auf dem Bild: „Skandaaal im Sperrbezirk, Skandaaal…“ Neben der Musik spielte in meinem Leben Politik schon immer eine bedeutende Rolle. Heidelberg mit 16 Jahren, ich inmitten einer Demo auf dem Bismarckplatz. Um mich herum Transparente: Keine Fahrpreiserhöhung bei der HSB! Plötzlich geschieht etwas für mich Unfassbares: Polizisten tauchen aus dem Nichts auf, prügeln auf friedliche Demonstranten ein und nehmen diese mit. Die Ereignisse von damals lassen mich nicht mehr los. Ich will, dass sich etwas ändert. Ich will etwas dafür tun, statt nur zu reden. Ich trete zu Zeiten Willy Brandts in die SPD ein, werde Schülersprecher. 1980 kandidiere ich in Brühl auf der neu gegründeten grünalternativen Liste. Den Grünen trete ich 1998 nach der Bundestagswahl bei, werde Gemeinderatsmitglied in Schwetzingen. Meine kritische Haltung zum Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr und die mangelhafte Einbindung der Parteibasis führen zu meinem Austritt aus der Partei. Im Jahr 2006 dann: mein grünes Comeback...
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Seit 2011 bin ich Landtagsabgeordneter. Musik, Kunst und Kultur sind mein Fachgebiet. Meine Aufgabe bringt mich mit den unterschiedlichsten Menschen zusammen. Ich halte die kulturelle Vielfalt für einen der größten Schätze unseres Landes. Als kulturpolitischer Sprecher der Fraktion bin ich so etwas wie der Lobbyist aller Kreativen und Kulturschaffenden. Ich kämpfe dafür, dass alle Menschen gleichberechtigten Zugang zu Kulturangeboten erhalten. Denn ich bin überzeugt: Kunst und Musik bereichern jede*n von uns. Kulturelles Erleben, an welchem Ort auch immer, ist das, was unsere Gesellschaft zusammenhält.
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28. April 1986: Die ersten Sonnenstrahlen des Jahres kitzeln auf meiner Nase. Wind rauscht durch Bäume und Wälder, Vögel zwitschern. Ich bin auf einem Freizeitwochenende der Katholischen jungen Gemeinde im Allgäu. Schon seit Jahren engagiere ich mich hier, bereite Jugendgottesdienste vor, diskutiere mit Kirchenräten. In dieser Zeit bestimmt ein Thema alles andere: die Katastrophe von Tschernobyl. Zwei Tage zuvor ist 1.500 Kilometer entfernt in der Ukraine ein Atomreaktor explodiert. Während wir draußen zusammensitzen, unterhalten wir uns stundenlang über Kernkraft – ohne zu wissen, welcher Gefahr wir uns gerade aussetzen: Denn die schöne Natur des Allgäus täuscht darüber hinweg, dass längst eine radioaktive Wolke aus dem Osten im Anmarsch ist. Zeitsprung. Die Schule ist vorbei – wegen meiner „sozialen Ader“ weiß ich genau, was ich werden möchte: Krankenschwester. Auf einer Station für neurologische Frührehabilitation arbeite ich mit Patienten zusammen, denen ich beim Neustart in ein normales Leben helfe. Die Arbeit macht unglaublich viel Spaß und ist erfüllend, aber auch sehr anstrengend...
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Ich will etwas ändern und Krankenschwestern und -pflegern eine Stimme geben. Als Betriebsrätin setze ich mich fortan für unsere Belange ein – ein gutes Gefühl, meinen Kolleg*innen so etwas zurückgeben zu können. Politisch beschäftigt mich, wie wir unseren Frieden sichern und die Umwelt schützen können. 2010 werde ich Mitglied der Grünen. Mein erstes offizielles Amt ist das Mandat im Wangener Gemeinderat. Bei der Wahl 2016 ziehe ich in den Landtag ein und kann mich als gesundheitspolitische Sprecherin der Fraktion um meine große Leidenschaft kümmern: den Pflegebereich. Besonders die harten Arbeitsbedingungen für Pflegende und die Lebensbedingungen für alte und kranke Menschen beschäftigen mich. Ihnen will ich gerne Gehör verschaffen – als Frau vom Fach.
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Klick. Ratsch – das Rädchen an dem Fotoapparat für die nächste Aufnahme wird gedreht. Leute fahren auf ihren Fahrrädern vorbei, schauen uns grinsend an. Sie fragen sich wohl, was wir hier machen. Tübingen im Juni 1998. Kommilitonen und ich sind gerade dabei, unsere Wahlkampagne für die Uni-Wahlen aufzunehmen. Auch der Wahlkampf für den Bundestag läuft so langsam an. Im Herbst sind dann die Wahlen – hoffentlich wird Helmut Kohl endlich abgelöst! Was Demokratie und Menschenrechte bedeuten, ist mir gewissermaßen in die Wiege gelegt worden. Meine Großeltern lebten unabhängig voneinander in zwei totalitären Regimen, Nazi-Deutschland und Spanien unter der Franco-Diktatur. Ihre Erlebnisse und viele Gespräche haben mir früh die Augen geöffnet: Eine demokratische und offene Gesellschaft ist keine Selbstverständlichkeit. Jeder und jede von uns trägt die Verantwortung, dafür einzustehen. Umso mehr, als im Jahr 1990 die Mauer fällt. Die Freude über die neue Freiheit währt für Abertausende nur kurz: Die Brandanschläge von Mölln, Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen sind für mich und viele andere in dieser Zeit prägende politische Erlebnisse...
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Als 1993 der sogenannte „Asylkompromiss“ im Bundestag verabschiedet wird, verweigern sich nur die Grünen der Grundgesetzänderung – für mich die einzige Partei, die für Bürgerrechte steht. Seit 2011 bin ich im Landtag. Ich vertrete dort aber nicht nur die Meinungen der Tübinger*innen: Als migrations- und integrationspolitischer Sprecher der Fraktion setze ich mich für Menschen ein, die wegen Bürgerkriegen oder politischer Verfolgung ihre Heimat verlassen mussten. Ich will ihre Situation verbessern und ihnen in unserem Land Chancen und echte Perspektiven bieten. Denn eins steht für mich fest: Die Erlebnisse meiner Großeltern dürfen sich nie mehr wiederholen.
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Es riecht nach Kaffee und Frühlingsbeginn, wir genießen die ersten warmen Sonnenstrahlen des Jahres. Endlich Pause! Trier 1989. Ich schreibe jeden Tag bis tief in die Nacht an meiner Diplomarbeit im Fach Psychologie und genieße diese kurze Auszeit vom Tippen. Wir diskutieren über unsere Zukunftspläne und über gesellschaftspolitische Fragen. Was kann die Wissenschaft dazu beitragen, eine Spaltung der Gesellschaft zu verhindern? Warum werden Frauen immer noch benachteiligt? Welche Faktoren führen dazu, dass rechtspopulistische Parteien derzeit Aufwind erfahren? Wir wollen Antworten für diese Fragen finden. Ich wachse in Heidelberg auf. In den 70ern sind Unruhen an jeder Ecke spürbar: Studentenbewegung, Demos gegen den NATODoppelbeschluss, Hausbesetzungen, Rockkonzerte gegen Nazis… Ich spüre: Hier ist etwas im Umbruch, und ich will ein Teil davon sein. Ich will gehört werden und engagiere mich in der Schülermitverwaltung, ich will gleiche Rechte und kämpfe dafür in Frauengruppen, ich will Frieden und gehe deshalb demonstrieren...
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Kommunalwahlkampf 2004: Inzwischen lebe ich mit meiner Familie in Karlsruhe. Wälder, Parks, Kultur und super ÖPNV – wir fühlen uns hier sehr wohl. Dennoch bringen mich die Wahlplakate in der Stadt zum Nachdenken: Erlebnisbad, Messehalle und Kohlekraftwerk – lauter neue teure Großprojekte. Wo bleibt das Geld für Schulsanierungen, Radwege und Kita-Plätze? Ich will eine andere Entwicklung: Ökologisch, nachhaltig, familienfreundlich. Seit 2004 engagiere ich mich deshalb bei den Grünen und werde 2009 in den Karlsruher Gemeinderat gewählt. 2019 rücke ich für Bettina Lisbach in den Landtag nach. Als langjährige Kommunalpolitikerin kenne ich die Anliegen der Städte und Gemeinden und mache mich nun im Landtag als kommunalpolitische Sprecherin der Fraktion für ihre Belange stark. Meine Studienzeit in Trier hat mich geprägt. Dort habe ich gelernt: Nur wer Fragen stellt, Zusammenhänge erkennt, neugierig ist, sich auf andere einlässt und zuhört, kommt zu guten Lösungen.
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Blätter rascheln, es duftet nach Kiefernnadeln und Frühling. Osterferien 1985, Wanderurlaub mit meiner Familie. Ich genieße die Verschnaufpause in der Sonne – mit doppelter Sonnenbrille. Und denke nach. Warum sind so viele Dinge auf der Welt ungerecht? Wieso behandelt der Lehrer das einzige türkischstämmige Mädchen in der Klasse unfair? Wieso gibt es Krieg? Mit den Antworten bin ich nicht zufrieden. Ich wachse im beschaulichen, katholischen Erpel im Rheinland auf. Hier scheint die Welt festgefahren, mit meinem Hinterfragen komme ich nicht weiter. Ich will etwas tun! Im Nachbarort finde ich zu einer engagierten Jugendgruppe. Auf langen Radtouren führen wir intensive Diskussionen und schmieden Weltverbesserungspläne. Einmal verlassen wir bei einer Radtour hungrig einen Supermarkt in Geislingen an der Steige, weil es nur Obst aus Südafrika gibt und wir das Apartheidregime ablehnen. Der Umweltschutz treibt mich immer mehr um. Denn in einer gerechten Welt verbraucht die eine Generation nicht einfach die Lebensgrundlagen der nächsten. Als Erste meiner Familie kann ich an einer Universität studieren – ein Privileg! Ich verlasse das Rheinland und ziehe nach Tübingen. Hier werde ich Studierendenvertreterin: Gremienarbeit, Demos, Aktionen, Reden. Das bringt Freude und Anerkennung. Doch das reicht mir nicht...
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Ich will die Welt gerechter und ökologischer machen. Die Lösung: Ich werde Grüne. Im Frühjahr 1998, und ich habe es nie bereut. Hier bin ich nicht „die junge Frau“, sondern eine ernst genommene politische Akteurin. Seit 2011 vertrete ich den Wahlkreis Esslingen, in dem ich nun heimisch bin, im Landtag. Als stellvertretende Fraktionsvorsitzende und wirtschaftspolitische Sprecherin setze ich mich für umweltfreundliches Wirtschaften, Innovation und die Chancen der Digitalisierung ein. Für eine lebenswerte Zukunft! Mein Kinderfoto zeigt mir: Das Nachfragen und Hinterfragen hat sich gelohnt. Also: Lasst nicht locker!
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8. März 1991. Frauentag. Bis eben war ich noch draußen auf der Demo, in einem Meer von bunten Transparenten, Trillerpfeifen und vor allem: vielen starken Frauen! Hier drinnen beim Frauenpolitischen Forum der Stadt Geislingen hört man zwar keine Sprechchöre, aber die Diskussionen sind genauso lebhaft. Unser Motto: „Frauen bestimmen ihr Leben selbst.“ Ich wachse in einem politisch geprägten Elternhaus auf, mein Vater ist Gemeinderat, und ich engagiere mich in der evangelischen Kirche. Hier lerne ich, mich für andere einzusetzen. Ehrenamtliches Engagement ist für mich selbstverständlich. Später bin ich im selbstverwalteten Jugendhaus Maikäferhäusle und in der „Rätsche“ aktiv. Nach meinem Abitur studiere ich Sozialpädagogik und arbeite mehr als 15 Jahre lang in der offenen Kinder- und Jugendarbeit. Mein Berufsalltag zeigt mir häufig, wie stark soziale und berufliche Perspektiven von der sozialen Herkunft der Kinder und Jugendlichen abhängen. Es reicht mir nicht, diese Ungerechtigkeit abzuwehren. Ich will die Ursachen bekämpfen und Rahmenbedingungen verändern. Darum gehe ich in die Politik...
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1989 werde ich als jüngste Frau in den Gemeinderat von Geislingen gewählt. Meine erste Gemeinderatssitzung schockiert mich: Um mich herum sitzen fast nur Männer. Da wird mir endgültig klar: So kann das nicht weitergehen! Seither kämpfe ich für die volle Gleichberechtigung von Frauen, ob in Wirtschaft, Wissenschaft oder Politik. Wir Frauen stellen die Hälfte der Weltbevölkerung – deshalb muss uns auch die Hälfte der Macht gehören! 2001 werde ich erstmals in den Landtag gewählt – hier setze ich mich als Sozialpolitikerin entschieden für eine offene, freie und vielfältige demokratische Gesellschaft ein. Menschen müssen ohne Angst vor Diskriminierung leben können – egal, wen sie lieben oder welches Geschlecht sie haben. Deshalb streite ich unbeirrbar und leidenschaftlich für Vielfalt und Offenheit, denn: „Ein bisschen gleich ist nicht genug!“ Egal ob für Frauen, Kinder oder LSBTTIQ-Menschen.
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Manche Dinge ändern sich nie: Schwer beladen mit Kuchen stehe ich in einer Stationsküche im Krankenhaus, meine Kette mit Türkisanhänger baumelt um den Hals. Ein Grinsen in die Kamera. Manche meinen: Diesen Gesichtsausdruck erkennt man noch heute auf 100 Meter Entfernung. In den späten 80er-Jahren bin ich mitten in meiner Ausbildung zum Krankenpfleger am damaligen Psychiatrischen Landeskrankenhaus Ravensburg. Als waschechter Oberbayer wachse ich im tiefschwarzen Landkreis Altötting auf. Nach der Schule mache ich eine Ausbildung zum Chemiewerker. Nichts mit oberbayerischer Idylle und Alpenpanorama! Stattdessen: Schlechte Luft und verseuchte Flüsse im „Chemiedreieck“. Bigotterie und Konservatismus in den 70ern. In meiner Heimat würde man sagen: „Dia Kirch‘ hot uns damois bis in‘d Unterhosn regiert.“ Da will ich nicht mitmachen und beginne, mich politisch zu engagieren. Friedensbewegung und Anti-Atombewegung prägen mich. Ich gehöre zu den Gründungsmitgliedern der Grünen im Landkreis Altötting und zu den Organisatoren der ersten AntiAtom-Demo in meiner Heimat. In meinem ersten Wahlkampf trage ich der Petra Kelly das Handtascherl hinterher. Der Zivildienst und die Liebe führen mich dann nach Oberschwaben...
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Ich hole meine Fachhochschulreife nach und studiere Sozial- und Gesundheitswesen. Als Sozialarbeiter arbeite ich 25 Jahre lang mit psychisch kranken Menschen und engagiere mich vor allem für eine gemeindenahe Psychiatrie. Mehrere Jahrzehnte im Gemeinderat und im Kreistag liegen hinter mir. 2011 bin ich erstmals Landtagsabgeordneter, 2016 dann das erste Grüne Direktmandat in Ravensburg. Und ich werde „Minischder“. Weil mich alle Manne statt Manfred nennen, fiel bei meiner Ernennung zum Minister für Soziales und Integration der Spruch: „Das Amt muss zum Manne kommen.“ Man sagt auch „Gesellschaftsminister“ zu mir. Meine Mission ist, alle mitzunehmen und zu integrieren. Das geht nur in einer offenen und toleranten Gesellschaft, für die ich kämpfe.
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VROOM-VROOM dröhnt es ins Tal hinein. Lörrach im Sommer 1976. Endlich 18! Endlich losfahren! Glücklich halte ich den lang ersehnten grauen Lappen in den Händen. Seit Monaten spare ich mein Lehrlingsgehalt für mein erstes Motorrad: eine Honda CB 360. Noch klingt meine Maschine ganz zahm. Ein besserer Sound muss her: Der Auspuff wird aufgebohrt… Wenn ich nicht auf Pässen im Schwarzwald unterwegs bin, schraube ich in unserer Garage am Moped herum. Im Hintergrund läuft das Radio und ich singe lauthals mit: „Is this the real life, is this just fantasy; caught in a landslide, no escape from reality“… Auf meinen Touren durch die Stadt sehe ich überall Wahlplakate an mir vorbeiziehen: Die Bundestagswahl steht an. Ich darf zum ersten Mal mitwählen. Für mich ist klar: Die Konservativen müssen weg – Schmidt statt Kohl. Mit „Sterns Stunde“ kommt die erste richtige Doku-Serie über Tier- und Umweltschutz ins deutsche Fernsehen. Nicht nur in den Medien wird das Thema Umweltschutz immer relevanter, sondern auch für mich: Die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl, die Kühlmittel in den Kühlschränken, das Ozonloch über Australien und das Waldsterben lassen mich nicht mehr richtig schlafen. Wieso macht da niemand richtig was dagegen? Ich muss wohl selbst aktiv werden...
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1984 trete ich den Grünen bei und werde in den Gemeinderat und den Kreistag gewählt. Dort sind Friedenspolitik und natürlich der Umweltschutz meine Themen. Mein Motto: „Global denken, lokal handeln“. Mit dem historischen Wahlerfolg werde ich 2011 in den Landtag gewählt. Heute bin ich Lärmschutzbeauftragter für das Land. Ich setze mich für Lärmschutz und Nachhaltigkeit im Verkehr, für höhere Gesundheitsstandards im Mobilfunk, für den Schutz unserer Umwelt und Lebensgrundlagen sowie für Innovationen und Vernetzung der Wissenschaft ein. Noch heute habe ich den grauen Lappen – er erinnert mich an meine wilde und vor allem laute Zeit – vom Mopedschrauber zum Lärmschutzbeauftragten. Ich weiß, wovon ich spreche.
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Breisgau im Juni 1987: mit meinem Jüngsten, Nicolas, genieße ich die Natur und die warmen Sonnenstrahlen in unserem Hof. Ein ganz besonderer Ort für mich. Vor ein paar Jahren hatten mein Mann und ich die alte Wagenremise gekauft, mühselig über die Jahre hinweg renoviert und ein Zuhause für uns und unsere drei Kinder geschaffen. Zu diesem Zeitpunkt weiß ich schon, dass ich ab Herbst in den Kreistag Breisgau-Hochschwarzwald nachrücken werde – als dritte Frau von insgesamt 72 Kreistagsmitgliedern. Mehr Frauen in der Kommunalpolitik – das bleibt hier lange ein zähes Ringen. Ganz bewusst hatten wir bei den Wahlen in allen zehn Wahlbezirken des Kreises jeweils Frauen an die Spitze der Listen gesetzt – keine der Frauen wurde gewählt. Dabei gehören politische Diskussionen in meiner Kindheit zum Alltag. Mit meinem Vater, einem Protestanten im erzkatholischen Westfalen, führe ich früh hitzige Debatten. Ich lerne, wie ich meine Argumente vortragen muss, um zu überzeugen. Im Studium finde ich dann endlich Mitstreiter*innen: Ich engagiere mich in der Sponti-Bewegung und als Atomkraftgegnerin. Wir fahren nach Schleswig-Holstein auf die Groß-Demo gegen das AKW Brokdorf. Den Bau des Atommeilers können wir nicht verhindern, aber ein Erfolg bleibt: Wir erheben als Bürger*innenbewegung unsere Stimme...
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Nach der Geburt meiner Kinder wird mir noch etwas Anderes ganz deutlich: Wir müssen zuallererst die Dinge vor unserer Haustür verändern. 1984 trete ich den Grünen bei. Ab sofort hängt das Wahlplakat der Grünen an meiner Tür: „Wir haben die Erde nur von unseren Kindern geborgt.“ Dieser Satz wird ab sofort mein Leben begleiten. Und es hat sich was getan: Heute sind wir neun Frauen und fünf Männer in der Kreistagsfraktion. Ich sitze mittlerweile im Landtag und bin seit 2016 Staatssekretärin im Ministerium für Soziales und Integration. Andere Dinge bleiben. Das Wahlplakat hängt noch immer an meiner Tür. Es erinnert mich daran, für was ich kämpfe: Die Gleichstellung von Frauen und eine intakte Umwelt.
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Weihnachtsmann-Mütze, rote Handschuhe, Adventszeit – und im Hintergrund „Liebe“ auf Italienisch. Wie passend! Aber nein! Die zweite Zeile des Graffitis lautet „e d’anarchia“. Gemeint ist der gleichnamige antifaschistische Film aus den 70ern, der mich sehr bewegt hat. Er handelt von Menschlichkeit in Zeiten von Faschismus und Korruption und davon, was man als einzelne Person ändern kann. Ich mache eine Ausbildung in einer Lackfabrik. Wir Azubis müssen täglich die Laborgefäße reinigen. Ohne Schutzmaßnahmen. Mit aggressiven Lösungsmitteln. Die Folge: Hauterkrankungen und tiefe Risse in unseren Händen. Zunächst frage ich mich selbst: Müssen wir das als Lehrlinge akzeptieren? Dann frage ich das auch die Geschäftsleitung. Dort ist man nicht besonders erfreut. Ich lasse nicht locker und mobilisiere die anderen Azubis. Da wird mein Vater zu einem Gespräch mit dem Chef vorgeladen. Man sorgt sich um den guten Ruf der Firma. Aber ich lasse mich nicht einschüchtern. Und siehe da: Es geht auch anders. Die Reinigungsprozesse werden automatisiert und damit ist ein wichtiger Schutz im Arbeitsprozess erzielt. So habe ich gelernt, dass es sich lohnt, aktiv zu werden. Man kann etwas bewirken! Das will ich weiterführen und engagiere mich in der Gewerkschaftsjugend, danach bei den Jusos und der SPD...
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Dann kommt die Zeit der Anti-Atomkraft-Bewegung und der Friedensproteste. Mittlerweile habe ich das Studium der Agrarwissenschaft abgeschlossen, stehe vor der Promotion. Ich merke: Die neue grüne Ökopartei hat die richtigen Antworten auf die wichtigen Fragen der Gegenwart. Ich wechsle die Partei. 1989 werde ich Grünen-Stadtrat in Leonberg – bis heute bin ich mit Leib und Seele aktiv in der Kommunalpolitik. 2006 haben mich die Wähler*innen im Wahlkreis Leonberg-Herrenberg zum ersten Mal in den Landtag gewählt. Inzwischen bin ich umweltpolitischer Sprecher der Fraktion und setze mich täglich dafür ein, dass auch die kommenden Generationen eine lebenswerte Welt vorfinden. Bequem ist Politik nicht. Aber es lohnt sich, auch unbequeme Fragen zu stellen.
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„Schneller, schneller!“ Die Anfeuerungsrufe der anderen Kinder werden immer lauter. Ich konzentriere mich: Vorletztes Hindernis, dann noch schnell im Slalom über den Hof. Geschafft! Ich trete so fest in die Pedale, wie ich nur kann und gebe alles! Fahrradrallye im Sommer 1979. Fahrräder: Hier in Münster sind sie allgegenwärtig. Ab und an eine quietschende Bremse oder ein schallendes RRRRING, ansonsten schweben sie fast lautlos über die kilometerlangen Radwegenetze. Egal ob Schule, Arbeit oder Freibad – wir gehen nicht, wir radeln. So wachse ich mit meinen drei Geschwistern zwischen Backsteinen und Radwegen auf. Aber wie funktioniert das eigentlich mit dem Radfahren? Warum fallen wir da nicht um? Das will ich verstehen und wähle in der Schule Physik als Leistungskurs. Als einziges Mädchen. Mein Lehrer ist gut, aber bei den Versuchen werde ich regelmäßig übergangen. Doch er kann mich nicht aufhalten. Für mich ist selbstverständlich, dass Frauen in Naturwissenschaften ihren Platz haben – und ich studiere nach meinem Abi erfolgreich Physik. Von der Fahrradstadt Münster ziehe ich während des Studiums in die Fahrradstadt Freiburg. Neben meinem Fahrrad stehen inzwischen ein großes Männerfahrrad und ein kleines Kinderfahrrad. Mit meiner kleinen Familie ziehe ich 1999 nach Schwäbisch Hall...
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Kulturschock! Hier gibt es kaum Radwege, regelmäßig werde ich als Radfahrerin von der Straße gehupt. Dass jetzt auch noch der Spielplatz ums Eck geschlossen werden soll, geht gar nicht! Ich will eine Stadt, die mobil, nachhaltig und lebenswert ist – für mich und für meine Kinder. Ich engagiere mich bei den Grünen, werde 2004 in den Stadtrat von Schwäbisch Hall gewählt, 2014 in den Kreistag, 2016 in den Landtag. Um die Klimakrise zu stoppen, setze ich mich hier als energiepolitische Sprecherin der Fraktion für den Ausbau der erneuerbaren Energien und weniger Kohlendioxid-Ausstoß im Verkehr ein. Damit es auch in Zukunft noch die unbeschwerten Fahrradrallyes meiner Kindertage geben kann.
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Kurze Verschnaufpause mit meiner Frau Helga. Im Hintergrund rauscht der Wind, es duftet würzig nach Holz und Bergkräutern. Juli 1983: Das vierte Jahr in Folge verbringe ich den Sommer als Alpsenn im Berner Hochgebirge. Frühmorgens genieße ich den kurzen Moment der Ruhe, tauche die klammen Hände in kaltes Gletscherwasser, das blasse Morgenrot auf der Haut. Dann ruft auch schon die Arbeit: Die Kühe wollen gemolken werden, die frische Milch verarbeitet. Die Arbeit hier oben ist hart, aber ich genieße die Nähe zu den Tieren, das traditionelle Handwerk und die Naturverbundenheit. Ein Jahr später stehen wir vor der Entscheidung, den elterlichen Hof meiner Frau in Ihringen zu übernehmen. Die Erfahrungen von der Alp helfen bei der Entscheidung und wir sagen: Ja. Wir wollen, dass unsere Produkte gesund und gut für die Umwelt sind und gründen die erste Bio-Landwirtschaft weit und breit. Ich liebe es, den Wein von der ersten Blütenknospe bis zum Verkorken der Flasche zu begleiten. Ohne Herbizide, Pestizide oder Dünger: Natur pur. Wenig später wird unser erstes Kind geboren. Ich will den Planeten für meine Kinder bewahren und beginne, mich zu engagieren. Gegen den NATO-Doppelbeschluss, gegen das geplante Kernkraftwerk Wyhl am Kaiserstuhl und für den Frieden. So werde ich endgültig zum (Grünen) Politiker...
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Ich kandidiere für den Gemeinderat Ihringen und den Kreistag Breisgau-Hochschwarzwald und werde als einziger Grüner gewählt. Jahrelang engagiere ich mich für den verantwortungsvollen Umgang mit der Natur und werde schließlich 2006 in den Landtag gewählt. Als Sprecher der Fraktion für Tourismus, Wald, Wild und Weinbau setze ich mich hier für einen lebenswerten und vielseitigen Ländlichen Raum ein. Dabei ist es mir wichtig, stets alle Betroffenen, Beteiligten und Interessierten einzubeziehen und gemeinsam nachhaltige Lösungen zu finden. Alp und Weingut haben mich geprägt: Nur in einer intakten Natur können wir gut leben. Deshalb lautet mein Motto: Erhalten was uns erhält!
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Ich hole tief Luft. Mache meine Augen zu. Puste. Langsam öffne ich meine Augen. Alle Kerzen auf meinem Geburtstagskuchen sind aus. Zufrieden lehne ich mich zurück und grinse in die Kamera. Danach gehen wir mit Freunden zum Spielplatz. Wir buddeln im Sand und werden ganz schön dreckig. Die Mama eines Freundes wird deshalb wütend und schlägt ihn. Meine Mutter ist entsetzt. Sie mischt sich ein, das tut sie immer. Und hat damit Erfolg. In der Grundschule im Dorf bin ich dann das einzige „deutsche“ Kind, das mit den „Gastarbeiterkindern“ spielen darf. So lerne ich schon als kleiner Dreikäsehoch, dass es sich lohnt, für Menschlichkeit und Gerechtigkeit einzustehen. Fünf Jahre später stirbt mein Cousin an Leukämie. Sein Tod lässt mich nicht los. Umso mehr, als ich erfahre: Er wurde in einer Gegend geboren, wo besonders viel Radioaktivität aus Atomversuchen auf die Erde herunterregnete – und viel mehr Kinder als sonst an Leukämie erkrankten. Ich beschäftige mich mit radioaktiver Strahlung und Atomkraft. So gelange ich zu den neu gegründeten Grünen...
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Ich engagiere mich für eine gesunde Natur und soziale Gerechtigkeit. Nach Schule und Studium arbeite ich im sozialen Bereich, mache mich stark für Menschen mit Behinderung, Obdachlose, Kinder und Jugendliche – und entwickle nebenberuflich umweltfreundliche Technologien, von der Abgasreinigung bis zu Fahrrädern. Mit der Landtagswahl 2011 bekomme ich die Chance, meine Themen auch auf Landesebene umzusetzen. Als Sprecher der Fraktion für Sozialpolitik, Jugend, Inklusion und Technologiepolitik setze ich mich für eine gerechte Gesellschaft ein, in der sich alle Menschen frei entfalten könne. Mein besonderer Einsatz gilt allen Kindern und Jugendlichen. Ich kämpfe für einen besseren Kinder- und Jugendschutz, damit sich Missbrauchsfälle wie in Staufen nicht wiederholen. Ich will, dass alle Kinder friedlich, unbeschwert und in einer gesunden Umwelt im Sandkasten spielen können. Was ich damals als Kind gelernt habe, gilt heute umso mehr: Einmischen lohnt sich!
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Meine Hände zittern. Ein letztes Mal überprüfe ich die Reihenfolge meiner Notizzettel. Mein Blick schweift über 400 Augenpaare, die mich erwartungsvoll anstarren. Ich hole noch einmal tief Luft. Dann beginne ich zu sprechen. Mein erster großer Auftritt auf öffentlicher Bühne. Ein Jahr zuvor. Ich höre von den Plänen für eine neue und teure Müllverbrennungsanlage, die vor die Tore Bietigheim-Bissingens gesetzt werden soll. Ich bin in der BUND-Jugend engagiert. Der Umwelt- und Naturschutz ist mir enorm wichtig. Zusammen gehen wir auf die Barrikaden: Wir malen Plakate, ziehen durch die Straßen und gründen eine Bürgerinitiative, deren Sprecher ich werde. Schnell solidarisieren wir uns mit anderen Bürgerinitiativen gegen das Vorhaben der Stadt. Landfrauen, Landwirte, Obst- und Gartenbauvereine, Wertkonservative – alle schließen sich der Protestbewegung an. Wir sammeln über 60.000 Unterschriften. Juni 1990. Die Stimmung im Saal ist ziemlich aufgeheizt. Ich bin 20 Jahre alt, ziemlich unbedarft, politisch auf Widerstand gebürstet und stehe auf dem Podium in der Kelter in Tamm. Die Debatte beschäftigt die ganze Region und befeuert den politischen Aufstieg der Grünen im Kreis. Ich knüpfe schnell Kontakte und engagiere mich sehr bald aktiv in der Partei...
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1994 werde ich sowohl in den Kreistag als auch in den Gemeinderat gewählt. 2011 folgt dann der Einzug in den Landtag. Heute stehe ich auf dem Podium im Plenarsaal. Die Bühne ist größer, die Leidenschaft noch genauso ausgeprägt wie damals. Klimaschutz und die Mobilität von morgen – das sind meine Themen als Sprecher der Fraktion für Klimapolitik und Verkehr. Die aktuellen Diskussionen um die Plastikflut und Mikroplastik in den Weltmeeren erinnern mich an meine Anfänge in der Bürgerinitiative. Damals wie heute benötigen wir ein Umdenken in unserem Konsumverhalten und unserer Abfallpolitik. Die Müllverbrennungsanlage im Wilhelmshof wurde nie gebaut. Der öffentliche Druck war einfach zu groß. Das zeigt: Jede und jeder von uns kann zu Hause etwas verändern.
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Sylt 1983: schon wieder eine Schubkarre voller toter Vögel. Qualvoll umgekommen in den Ölteppichen der Nordsee. Ich bin gerade 21 Jahre alt, Zivildienstleistender auf Sylt und sammle die Tiere auf. Schon von Kindesbeinen an bin ich gemeinsam mit meinen beiden Brüdern im praktischen Vogelschutz und als Ornithologe – als Vogelkundler – aktiv. Mit neun Jahren gewinne ich bei einem Vogelstimmen-Quiz mein erstes Bestimmungsbuch, den „Kosmos Vogelführer“. Mit 18 Jahren gründe ich eine Naturschutz-Jugendgruppe in Gerlingen. 1980 verschlägt es mich erstmals als Vogelwart an die Nordsee. Von 1981 bis 1983 bin ich dann als Schutzgebietsbetreuer und Zivildienstleistender auf Sylt, Norderoog und der Vogelwarte Helgoland. Auf Sylt koordiniere ich die Ölvogelzählungen von fünf Zivildienst-Einsatzstellen. Gemeinsam sind wir für 60 Kilometer Strandkontrolle verantwortlich. Wir sammeln im Winter 1982/1983 über 3.000 tote Vögel auf. Schon damals verbinde ich die praktische Tätigkeit mit wissenschaftlicher Arbeit sowie mit politischem Engagement. Durch die Erlebnisse auf Sylt bestärkt, engagiere ich mich in der Jugend-Umweltbewegung auf Bundesebene. Wir legen tote verölte Vögel vor die Konzernzentrale von Texaco: Das Unternehmen bohrt damals im Wattenmeer nach Öl...
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Dass ich mich auf Bundes- und europäischer Ebene ehrenamtlich für den Vogel-, Arten- und Naturschutz engagiere und gerne Verantwortung übernehme, gehört seither kontinuierlich zu meinem Leben. 1982 bin ich Mitbegründer der Naturschutzjugend (NAJU). Aktuell bin ich im NABU-Bundesverband für Nationalparke, Biosphärenreservate, Streuobst und Wölfe (mit)zuständig. Ich will, dass meine Arbeit nachhaltig etwas verändert. Als Landtagsabgeordneter kann ich seit 2011 meine Leidenschaft für Arten- und Naturschutz auch in politisches Handeln auf Landesebene umwandeln. Dabei verstehe ich mich als Brückenbauer: sowohl zwischen Wissenschaft und Politik als auch zwischen Landwirtschaft und Naturschutz. Damit Vögel und Landwirte auch morgen eine Zukunft haben.
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1989: Ich bin 30 Jahre alt, lebe in Ostberlin, interessiere mich für Natur, Kultur und Geschichte. 1986 ist das Kernkraftwerk Tschernobyl explodiert. Aber die Umweltfolgen sind in der DDR kein Thema. Ich sehe das anders, möchte mich engagieren, ein selbstbestimmtes Leben führen. Ich möchte reisen, Athen, Rom und Paris sehen, aber die Realität sieht anders aus: Wir leben hinter der Mauer, die Ost und West trennt. Dann kommt meine Chance! Die ungarische Regierung hat die Grenze nach Österreich geöffnet. 30 Jahre DDR sind genug. Mich hält nichts mehr – Fluchtziel Freiheit! Erst nach Wien, dann weiter nach Deutschland ins Auffanglager Gießen: Am ersten Abend spricht Joschka Fischer im Audimax der Uni. Es ist überfüllt, ich bin schwer beeindruckt – das ist meine Partei. Meine neue Heimat wird Ettlingen in Baden-Württemberg, ich werde Mutter und engagiere mich bei den Grünen. Viele Jahre lang setze ich mich im Ettlinger Gemeinderat für den Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen ein. Wir Grünen werden belächelt und überstimmt, aber wir lassen uns trotzdem nie unterkriegen. Ich setze mich für Flüchtlinge ein, denn jeder sollte die Chance auf ein freies und selbstbestimmtes Leben haben...
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Heute bin ich Landtagsabgeordnete und Sprecherin der Fraktion für Denkmalschutz und Kulturliegenschaften. Als Mitglied im Finanzausschuss setze ich mich insbesondere für den Erhalt unseres kulturellen Erbes ein. Besonders am Herzen liegt mir die Arbeit im Europaausschuss und im Oberrheinrat, da wir hier ganz praktisch daran arbeiten, das Nationalstaatsdenken des 19. und 20. Jahrhunderts zu überwinden und gemeinsame Lösungen für die Probleme des 21. Jahrhunderts wie den Klimawandel, eine weltweit vernetzte Wirtschaft oder das Studieren und Arbeiten in unserem gemeinsamen Haus Europa zu finden.
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Kätzchen Tereza maunzt, will runter von meinem Arm. Feigenbäume säumen den Straßenrand, Hühner picken auf dem Hof nach Körnern. Als Kind verbringe ich viele Sommer auf dem Bauernhof meiner Großeltern in Portugal – ganz analog, ohne Handy, Tablet und Co. Denn die gab es damals noch nicht. Meine Großeltern sind in den 60ern als Gastarbeiter*innen nach Deutschland gekommen und später wieder zurück in die Heimat.

Mit doppelter Staatsbürgerschaft wachse ich in Karlsruhe auf. Ich bin gerade 15 Jahre alt, an diesem Dienstag im September 2001, der so vieles verändert. Als sich die Flugzeuge in die Türme des World Trade Centers bohren, kann ich das erst nicht einordnen. Doch es sind genau diese Monate nach dem schrecklichen Anschlag, den ich zutiefst verurteile, die mich politisieren. Ich bin nicht damit einverstanden, was alles mit dem Label „Krieg gegen den Terror“ gerechtfertigt wird: Bürgerrechte werden beschnitten, die Kriege im Irak, Afghanistan und Pakistan fordern weit über eine Millionen Tote. Mich zieht das mit Peace-Zeichen auf die Straße – und immer näher zu den Grünen...
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Ich merke: Wir müssen uns besser vernetzen. Deshalb heißt es nach Schulende: Ab in den Computer-Laden – das Internet daheim ist langsam und kostet einen Haufen. Diese Gemeinschaft ist super, aber ich möchte noch mehr. Zusammen mit Freunden reaktiviere ich deshalb die Grüne Jugend Karlsruhe. Und werde später Teil des Vorstands des Grünen Kreisverband Karlsruhe. 2011 werde ich dann als jüngster Abgeordneter in den Landtag gewählt.

Gerade weil es heute so einfach ist, eben mal mit Verwandten in Portugal zu schreiben, sich weltweit zu vernetzen oder mit Abgeordneten auf Insta zu chatten, setze ich mich als Sprecher für Medien, Netzpolitik, Wissenschaft und Hochschule besonders dafür ein, dass Werte wie Freiheit, Bürgerrechte und Datenschutz auch im Netz gelten.
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Mit Plakat auf der Schulter mache ich mich auf nach Wyhl: „Nein zu Pershing II, Cruise-Missiles – kein Euroshima“ habe ich auf das Banner geschrieben. Wir gehen demonstrieren. Die baden-württembergische Landesregierung will ein Atomkraftwerk in der Kaiserstuhlgemeinde errichten. Ohne dieses AKW würden in Baden-Württemberg „die Lichter ausgehen“, hat Ministerpräsident Filbinger im Frühjahr 1975 verkündet. Viele sehen das anders: Landwirt*innen, Anwohner*innen, Intellektuelle und Kleriker*innen protestieren gemeinsam und friedlich gegen das Vorhaben des Landes. Als ich mich auf den Weg nach Wyhl mache, bin ich schon seit einigen Jahren politisch und gesellschaftlich engagiert. Etwa als Klassen- und Schulsprecher oder als Mitbegründer des selbst verwalteten Jugendzentrums in Waldkirch. Während meines Studiums in Karlsruhe bin ich zudem Vorsitzender des U-Asta – des unabhängigen allgemeinen Studierendenausschusses. Ich setze mich gegen den NATO-Doppelbeschluss und für den Frieden ein: 1982 organisiere ich die größte Friedensdemonstration in meiner Heimatregion mit...
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Doch ich will mehr erreichen. Nicht nur debattieren, sondern handeln. Den kommenden Generationen eine lebenswerte Welt hinterlassen: Naturschutz und soziale Gerechtigkeit treiben mich besonders um. Das schaffen wir aus meiner Sicht nur mit den Grünen: 1983 trete ich deshalb in die Partei ein und bin Mitbegründer des Grünen Ortsverbands Waldkirch. 1984 werde ich über „Die Offene Liste“ in den Gemeinderat und 1994 in den Kreistag des Landkreises Emmendingen gewählt. 2011 ziehe ich als Abgeordneter für den Wahlkreis Emmendingen in den Landtag ein. Dort kämpfe ich als Sprecher der Fraktion für Arbeitsmarktpolitik sowie Energie- und Ressourceneffizienz für die Themen, die mich schon in meiner Jugend prägten. Die Proteste gegen das AKW waren übrigens erfolgreich: Es wurde nicht gebaut. Und die Lichter brennen alle noch. Inzwischen ist der Atomausstieg gesellschaftlicher Konsens und regenerative Energien sind längst Normalität.
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Es ist der erste Frühling mit meinen drei Kindern in Oberderdingen, einem kleinen Ort im Landkreis Karlsruhe. Wir sind glücklich und zufrieden, und es mangelt uns an nichts. 6.000 Kilometer entfernt tobt ein Völkermord von schrecklichem Ausmaß: In Ruanda werden innerhalb kürzester Zeit 800.000 Menschen ermordet. Die UN schaut weg. Ich kann das nicht. Oft denke ich an Mütter und ihre Kinder in Ländern wie Ruanda, die vor Gewalt und Armut fliehen. Mich treibt die Frage um: Was können wir im reichen Norden bewirken? Mir ist klar, dass wir unsere Art und Weise zu wirtschaften und zu leben ändern müssen, damit alle Kinder auf dieser Welt eine echte Chance auf ein gleichberechtigtes Leben haben. Deshalb engagiere ich mich als junge Mutter in lokalen Klima- und Aktionsbündnissen, gehe zu Greenpeace und setze mich für fairen Handel ein. Doch schnell wird mir klar: So wichtig die Zivilgesellschaft als Anstoß für politische Veränderungen auch ist, wirklich ändern kann es nur die Politik. Die Grünen sind für mich die einzige politische Alternative zu Umweltverschmutzung und zu globalen Ungerechtigkeiten...
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Ich arbeite im Kreisvorstand der Grünen und bin bald schon im Gemeinderat in Oberderdingen. In einer kleinen Kommune fühle ich mich als Einzelkämpferin, merke, dass wir als Kommune zwar lokale, aber nicht globale Probleme lösen können. Deshalb kandidiere ich 2016 für den Landtag. Ja, globale Themen stehen auch hier nicht immer ganz oben auf der Tagesordnung. Als Sprecherin für Entwicklungspolitik und Bevölkerungsschutz kämpfe ich aber jeden Tag dafür, Welt und Ländle ein bisschen besser zu machen – „think global, act local“. Mein Ziel ist, dass wir auch in Baden-Württemberg die globalen Entwicklungsziele der UN für 2030 erreichen: Ungleichheiten zwischen Stadt und Land entgegentreten. Mehr für einen verantwortungsvollen, nachhaltigen Konsum tun. Für Gerechtigkeit in der Gesellschaft eintreten. Der Einsatz für bessere Lebensbedingungen lohnt sich. Egal wo.
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1979: „Schluß mit den Naziaufmärschen in Weinheim!“, steht auf dem Titelblatt unseres Ortsblatts „Häffelesgucker“. Damit laufe ich durch die Fußgängerzone in Weinheim. Wir haben es selbst geschrieben. Ein Alternativ-Blatt, das Front macht gegen Nazis. Denn Weinheim ist eine Hochburg der NPD, Wohnort des damaligen Bundesvorsitzenden. Weinheim ist meine Heimat. Ich will zeigen, dass die Mehrheit anders denkt. Mit unserer Zeitung wollen wir eine Art Gegenaufklärung und -information starten, die lokale Presselandschaft aufrütteln. Der „Häffelesgucker“ dient als Sprachrohr für politische Bewegungen, wie zum Beispiel unser selbstverwaltetes Jugendzentrum oder Umwelt-Bürgerinitiativen. Und er wird gelesen. Denn, wie der Name „Häffelesgucker“ schon sagt, schauen wir uns den Boden des Topfes ganz genau an. Über die Arbeit in unterschiedlichen Initiativen lande ich bei den Grünen. Ein Projekt, das mich ab der ersten Stunde fesselt. Noch im Gründungsjahr unterstütze ich den ersten Europawahlkampf der „SPV Die Grünen“. Ein Jahr später dann den Landtagswahlkampf des ganz frischen Landesverbands Baden-Württemberg. Die erste Grüne Fraktion zieht nun in den Landtag ein. In den nächsten Jahren folgt Pionierarbeit an der Basis: Wir gründen Ortsverbände und bauen Wählerlisten auf – zwischen Heidelberg und Mannheim und im Vorderen Odenwald. Es ist mühsam, aber lohnt sich...
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Ich bin einer der ersten Grünen im sogenannten „Ländlichen Raum“. Schon 1980 sind wir in etlichen Gemeinden zur Kommunalwahl angetreten. Meine Kandidaturen 1983 für den Bundes- und 1984 für den Landtag sind natürlich noch aussichtslos. Doch 2006 ist es so weit. Ich werde in den Landtag gewählt. Hier bin ich Parlamentarischer Geschäftsführer, stellvertretender Fraktionsvorsitzender und Sprecher für Innenpolitik, Datenschutz und Informationsfreiheit. In diesem Amt, 40 Jahre nach meinen Anfängen bei den Grünen, bin ich ein noch genauso entschlossener Häffelesgucker wie 1979: Denn es kommt immer darauf an, dass wir den Dingen auf den Grund gehen.
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Endlich Sommerwetter. Meine beiden größeren Jungs holen ihre Fahrräder. Die beiden Kleinen packe ich zu mir aufs Rad. Die Fahrradtour zur Oma steht an. Zwei Jahre ist die Atomkatastrophe von Tschernobyl jetzt schon her. Zwar sind mir Natur- und Umweltschutz schon als Jugendliche sehr wichtig, doch Tschernobyl hat mich und meinen Mann endgültig zum Umdenken gebracht. Ich engagiere mich in Naturschutzgruppen, steige auf Vollwertkost um und wickle meine Kinder mit Stoffwindeln und Wollhöschen. Unsere Urlaube werden so naturverträglich wie möglich organisiert – wir wandern mit den Kindern durch den Schwarzwald, schlafen im Zelt oder auf Bauernhöfen im Heu. In der Familie versuchen wir – soweit möglich – zum Selbstversorgerhaushalt zu werden. Mir wird klar, dass effektiver Umweltschutz gesetzliche Rahmenbedingungen braucht. Aber ich bin auch überzeugt, dass praktizierter Umweltschutz zu Hause und in den Kommunen beginnen muss – global denken, lokal handeln. Das Weltverbessererinnen-Virus hat mich infiziert; ich will selbst gestalten. Doch als Mutter von fünf kleinen Kindern ist das nicht immer einfach. Ich spüre in meinem Alltag, dass Frauen strukturell noch immer klar benachteiligt sind. Mein Zeitbudget ist klein. Trotzdem beteilige ich mich so oft es geht an politischen Aktionen für Umwelt- und Naturschutz, Frauenrechte und globale Gerechtigkeit. Ich bin Mit-Initiatorin einer grünennahen Liste in meiner Heimatstadt Mühlacker und trete 1995 in die Grüne Partei ein...
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2009 ziehe ich in den Gemeinderat ein. Über viele Jahre bin ich im Orts- und Kreisvorstand der Grünen aktiv. Bei der Landtagswahl 2016 erringe ich das Direktmandat im Wahlkreis Enz. Für meine Fraktion bin ich Sprecherin für Angewandte Wissenschaften und für das Thema Ehrenamt. Denn nur eine Gesellschaft, die zusammensteht, kann die großen Herausforderungen unserer Zeit erfolgreich bewältigen. Dazu brauchen wir Menschen, die sich durch Engagement im Ehrenamt einbringen und für den gesellschaftlichen Zusammenhalt sorgen – Menschen, die Probleme anpacken.
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Endlich! Abi geschafft! Kaum sind die Prüfungen vorbei, packen wir Schlafsäcke, Zelt und Proviant in meinen saharagelben Fiat 128 und fahren los gen Westen. Auf einem Campingplatz in der Normandie gibt es zum Frühstück Croissants und Joan Baez: „Laugh and laugh the whole day through. And half the summer‘s night. Donna, donna…“ Wir sind friedensbewegt in diesem Sommer 1982: Die Konflikte auf den Falkland-Inseln und im Nahen Osten, der NATO-Doppelbeschluss und die Aufstellung von Raketen und Flugkörpern mit Atomsprengköpfen treiben uns um. Mein erster Kontakt zu den Grünen liegt da schon drei Jahre zurück. 1979 – die Frauenbewegung und die Reform um den Paragraphen 218 bei Schwangerschaftsabbrüchen beschäftigen mich intensiv, deshalb besuche ich eine Grünen-Mitgliederversammlung. Diese verläuft so chaotisch, dass ich erst mal keine weitere Veranstaltung besuche...
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Aber die Grünen und ihre Themen lassen mich nicht los: Der Widerstand gegen die Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf, die Friedensketten gegen die Stationierung von Atomraketen, das Atomunglück in Tschernobyl, die Boykottinitiative gegen die Volkszählung. Schließlich suchen die Freiburger Grünen 1991 eine Kreisgeschäftsführerin, ich bewerbe mich und bekomme die Stelle. 1992 nach den rassistischen Ausschreitungen in Rostock, Mölln und Hoyerswerda werde ich Parteimitglied – und bin bis heute aus Überzeugung dabei. 2002 rücke ich für Dieter Salomon in den Landtag nach. Neun Jahre später endlich der Wechsel von der Opposition zu einer grüngeführten Regierung. Fünf Jahre lang bin ich Fraktionsvorsitzende – das ist herausfordernd, lehrreich und für die grüne Sache extrem erfolgreich. Seit mich der Ministerpräsident 2016 zur Finanzministerin machte, hüte ich das „Kässle“ mit dem Geld der Steuerzahler*innen. Ich will heute dafür sorgen, dass wir alle morgen und übermorgen gut leben können. Deshalb ist es mir als Finanzministerin ein Anliegen, verantwortungsvoll mit dem Geld der Bürger*innen umzugehen, und unser Land bestmöglich für die Zukunft aufzustellen.
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Ich sitze in unserer Studenten-WG in Nürtingen. Keine Glühbirne brennt, keine Heizung gluckert – kurzum: Kein Strom fließt. Wir haben uns geweigert, für unseren Atomstrom zu zahlen, bis unser Stromanbieter ihn abgedreht hat. Stromrebellen, das sind wir. In unserer Studenten-WG haben wir die Anti-Atom-AG gegründet, nehmen an wichtigen Demonstrationen teil, wollen auf Gefahren aufmerksam machen und unser Umfeld sensibilisieren. Wir wissen, irgendwann müssen wir den Strom zahlen. Unsere Überzeugung aber bricht das nicht: Raus aus der Risikotechnologie Kernkraft. Anfang der 80er Jahre arbeite ich als Praktikant im Freiburger Öko-Institut. Es wurde erst kurz zuvor gegründet. Das Öko-Institut entwickelt eine Idee: Wachstum und Wohlstand ohne Erdöl und Uran. Eine Idee, die für mich Überzeugung ist. Ab 1983 kämpfe ich als Parlamentarischer Berater der Grünen Landtagsfraktion für diese Überzeugung. 2006 dann als Landtagsabgeordneter. Im März 2011 ereignet sich die Nuklearkatastrophe im japanischen Atomkraftwerk Fukushima. Erhebliche Mengen radioaktiver Stoffe werden freigesetzt...
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Der Schock lässt viele umdenken. Noch im selben Jahr nimmt die erste Grüne Landesregierung ihre Arbeit auf. Und ich werde der erste Grüne Umweltminister von Baden-Württemberg. Ich bin überzeugt davon, dass wir eine Verantwortung für die Schöpfung und die Zukunft unserer Kinder und Enkelkinder haben. Ein Energiesystem, das unserem Klima dauerhaft schadet, ist weder nachhaltig noch generationengerecht. Deshalb ist die Energiewende so wichtig für mich. In unserer Anti-Atom-WG hätte ich es nicht zu träumen gewagt, dass ich einmal über 30 Jahre später als Landesminister den Abbau der AKWs im Land verantworten würde. 2022 geht das letzte AKW vom Netz. Die Atomkraft wird Geschichte sein. Dafür habe ich mein ganzes politisches Leben lang gekämpft und darauf bin ich stolz.
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„Freeze nuclear weapons!“ Eugene, Oregon im Mai 1982. Ich bin Mitglied der Studierendengruppe SNUFF – Students for a Nuclear Free Future. Wir machen Werbung für eine geplante Demo gegen die Nachrüstung von Atomwaffen in Europa. Der Widerstand gegen den Krieg der USA in Nicaragua und die geplante Nachrüstung sind zwei zentrale Themen dieser Zeit. Mit DieIns, Vorträgen und Flugblättern sind wir auf dem Campus präsent. Eugene wurde schnell meine Heimat. Das weltoffene und liberale Lebensgefühl machen es zu einem besonderen Ort. Ökologie ist viel mehr als ein Schlagwort, der „American Way of Life“ und seine Verschwendungssucht werden nicht nur hinterfragt, sondern es wird ganz anders gelebt. Über die damals nicht umweltbewussten Kalifornier schimpft man: „Don’t californicate Oregon!“ In Eugene lerne ich viel für mein späteres politisches Engagement bei den Grünen. Der Kongressabgeordnete Jim Weaver wirbt dafür, keine Waffen- oder Chemieindustrie ins Land zu holen und stattdessen den Strukturwandel für das solare Zeitalter vorzubereiten. Worte wie diese hatte ich in Baden-Württemberg von Politiker*innen zuvor nie gehört...
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Nach meiner Rückkehr verbringe ich viel Zeit mit den Grünen und setze mich weiter für Umweltschutz und gegen die Atomkraft ein. 1992 werde ich das erste Mal in den Landtag gewählt – seitdem ist der Schutz der Umwelt und der Kampf gegen die Nutzung der Atomkraft nicht nur ein Teil meiner Freizeit, sondern mein Beruf. Als Vorsitzender des Arbeitskreises Umwelt, Klima und Energiewirtschaft kämpfe ich dafür, dass wir unseren Kindern einen lebenswerten Planeten hinterlassen. Das Engagement vieler Generationen von jungen Menschen hat die Klimakrise endlich in den Fokus der Debatte gerückt. Dies müssen wir nutzen, denn die Zeit zum Umdenken wird immer knapper. Und: der ökologische Geist Oregons hat mittlerweile die ganze Westküste erfasst. Ich freue mich darüber, dass Baden-Württemberg und Kalifornien gemeinsam die „Under2Coalition“ ins Leben gerufen haben.
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Ich stehe vor einer kleinen, unscheinbaren Hütte inmitten der Tiroler Alpen. Um mich herum: Berge, Wiesen und Bäche. Sonst weit und breit nichts. Lebensmittel kaufen wir direkt vom Almbauern im nächstgelegenen Ort, Fleisch gibt es nicht. Als Jugendreferentin in Singen organisiere ich Gruppenfreizeiten mit Jugendlichen. Das Motto: „Bewusst einfach leben“. Das ist mir wichtig, denn die Achtung vor der Schöpfung wurde mir in die Wiege gelegt. Mit meinen sieben Geschwistern wachse ich auf einem Bauernhof in Laiz bei Sigmaringen auf. Ich lerne früh, was es heißt, von der Natur zu leben. Mit meinen Projekten will ich junge Leute aktivieren und zum Selbstdenken anleiten: Naturerlebnisse schaffen, Mensch und Natur versöhnen. Meine Projekte, die mit Jugendarbeit beginnen, werden jedoch bald politisch: Nach der Atomkatastrophe von Tschernobyl bin ich einfach nur fassungslos. Ich intensiviere meine Arbeit beim BUND. Mit etwa 20 Frauen gründe ich die Gruppe „Frauen gegen Atomkraft“ in Singen. Wir organisieren regelmäßig Treffen, Flugblattaktionen, Demos und Vorträge. In dieser Zeit halte ich selbst auch Vorträge zum Thema „Umweltschutz im Haushalt“ im ganzen Landkreis Konstanz. Am Rande einer Tagung fragt mich einmal ein Rundfunkjournalist nach meiner Motivation. Meine Antwort: „Ich will später nicht von meinen Kindern hören müssen: Mutter, warum hast du nichts dagegen getan?“ Und deshalb entschließe ich mich, fortan die Dinge selbst in die Hand zu nehmen...
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2005 gehe ich in die Politik. Ich werde Mitglied im Kreistag von Konstanz. 2014 bin ich die erste Grüne im Gemeinderat Steißlingen und zwei Jahre später ziehe ich als erste Grüne Abgeordnete für den Wahlkreis Singen in den Landtag ein. Hier kann ich all meine Erfahrungen mit Kinder- und Jugendarbeit als Sprecherin der Fraktion für Frauen, Kinder und Familie einbringen. Damit auch unsere Kinder und nachfolgende Generationen auf die Tiroler Berge, Wiesen und Bäche und eine lebenswerte Zukunft blicken können.
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Mit Notizblock und Stift in der Hand sitze ich im Wohnzimmer von Shulamit Unna. Sie erzählt mir eine Geschichte. Die Geschichte eines jüdischen Mädchens, das 1940 von Mannheim nach Gurs deportiert wird. Gespannt hänge ich an Shulamits Lippen – denn es ist ihre Geschichte. Kaum jünger als ich jetzt, sah sich Shulamit in Deutschland Hass, Hetze und Gewalt ausgesetzt. Erst in Israel konnte sie ein neues Leben beginnen. Frühjahr 1992. Ich bin Teil einer Gruppe Studierender aus Mannheim, die in Israel einen Film über Zeitzeug*innen und deren Lebensgeschichte dreht. Organisiert hat das Projekt der Mannheimer Stadtjugendring. Unter dem Projektnamen „Spurensuche“ wollen wir jene jüdischen Mitbürger*innen finden, die „auf einmal weg waren“. Wir wollen das Vergessen verhindern und die Erinnerung an Jüdinnen und Juden aus Mannheim festhalten, an ihr Leben und ihr Arbeiten in dieser Stadt. Es ist meine tiefste Überzeugung, dass wir die Zukunft nur gestalten können, wenn wir die Vergangenheit kennen, uns mit ihr auseinandersetzen. Mit klarem Blick auch auf dunkle Zeiten. Dort, in Shulamits Wohnzimmer, beschäftigt mit der Vergangenheit, ahne ich noch nicht, was in der Zukunft auf mich zukommen wird. Von der Politik bin ich noch weit entfernt...
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Mit der Zeit aber wächst mein Engagement: ich werde Mitgründerin der Ökobank in Frankfurt und Carsharing-Pionierin der ersten Stunde. Auf mein bürgerschaftlich ehrenamtliches Engagement für alternative Mobilitätskonzepte folgt die Mitgliedschaft bei den Grünen, der Partei, die sich schon in den 90er Jahren mit der Verkehrswende befasst. Erst übernehme ich Verantwortung als Bezirksbeirätin, ab 2014 dann im Mannheimer Gemeinderat. 2018 rücke ich als Zweitkandidatin in den Landtag nach. Auch hier setze ich mich für meine Herzensthemen Bildung und Verkehr ein. Als die AfD das Direktmandat im Mannheimer Norden gewinnt, ist mir klar, dass das Eintreten gegen Hass, Hetze und Ausgrenzung heute wichtiger ist denn je.
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